Pferdereha Wirtz

Trageerschöpfung - das musst du wissen, bevor du ins Training startest

Antje Wirtz • 19. Januar 2022

Trageerschöpfung? Trageschwäche? - Das musst du unbedingt wissen, bevor du in das Aufbau-Training startest

In diesem Artikel soll es um die Trageerschöpfung gehen. Du wirst herausfinden, wie sich diese definiert und du wirst erkennen können, ob dein Freizeitpferd betroffen ist. Dann möchte ich dir noch Lösungswege aufzeigen, die du einschlagen solltest, wenn du betroffen bist

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Fangen wir erstmal ganz vorne an. Ich drücke mich in dieser wie auch in den anderen Folgen bewusst laienhaft aus – ich möchte, dass du es verstehst und dir Bildlich vorstellen kannst, das ist mir wichtiger, als mich möglichst komplizierten Beispielen und Sachverhalten zu klugscheißen – also falls du tiefer in der Materie drinstecken solltest – falls du z.B. eine Kollegin bist. Sieh mir das nach. Dieser Podcast ist für Freizeitreiter gedacht und ich erkläre alle Dinge entsprechend bodenständig 😉

Trageerschöpfung ist mittlerweile ein recht geflügeltes Wort was einem des Öfteren um die Ohren geschmissen wird. Aber woher kommt diese vermeintliche Erschöpfung des Pferdes. Und kann es sich von dieser Erschöpfung selbstständig erholen? Woran erkennt man eine Trageerschöpfung. Und wie kann es sein, dass sogar ungerittene Pferde daran leiden können?


Also der Kern des Ganzen ist recht leicht zusammengefasst: Ich mache es kurz und Schmerzlos: Pferde haben keine Schlüsselbeine. Die gute Nachricht ist: Sie können es sich nicht brechen außerdem ist die Stoßdämpfung einfach großartig. Die schlechte Nachricht ist: Das heißt aber auch, dass es keine knöcherne Verbindung zwischen den Vordergliedmaßen und dem Rumpf gibt. 

Alles was die Vorderbeine am Körper hält besteht aus weichem Gewebe. Also aus Muskeln und Bändern.

Das nennt man die thorakale Muskelschlinge. Ich will dich jetzt hier gar nicht mit Fachwörtern zuschmeißen. Damit es einfach bleibt: Stell dir einfach vor, die Beine deines Pferdes wären mit ganz vielen Gummibändern am Brustkorb befestigt. Die Gummibänder gehen z.B. vom Schulterblatt zu den Rippen und zum Hals oder auch vom Oberarm zum Brustbein.

Diese ganzen Gummibänder bilden eine gemütliche Hängematte, in der der Burstkorb liegt ist. 


Und du weißt ja, wie das mit Gummibändern ist - die haben eine blöde Eigenschaft: sie können ausleiern. 


Und was passiert jetzt, wenn die Gummibänder in denen der Brustkorb so gemütlich liegt ausleiern? Genau. Der Brustkorb sackt Richtung Fußboden – wegen Schwerkraft und so

Und wenn genau das passiert, dann spricht man von einer Trageerschöpfung. 


Die Absackung des Thorax darfst du dir jetzt nicht so vorstellen, dass das Pferd plötzlich 8 cm kleiner ist. Das passiert ganz langsam und schleichend. Und das Pferd versucht sogar das zu verhindern. Es versucht die „Gummibändern“ so stramm zu halten, wie es geht und verspannt. Darunter leidet leider die Stoßdämpfung, was die unteren Bänder und Gelenke des Vorderbeins gar nicht so cool finden (Schon mal die Diagnose Hufgelenksentzündung gehabt. 😉). Weitere Kollateralschäden sind dann auch eine verspannte Lende, denn selbst die Rückenmuskeln versuchen den Thorax irgendwie am Abrauschen zu hindern. Selbst der Hals ist betroffen und zeigt schmerzhafte Verspannungen.


Das ist aber leider noch nicht das Ende der Fahnenstange. 

Durch den tiefen stehenden Thorax wird dieser in der Ausführung der Atmung behindert. Die Pferde Atmen flacher und schneller – das Lungenproblem steht in den Startlöchern


Als wäre das noch nicht genug wird durch die veränderte Winkelung der Wirbelsäule wird der 7. Halswirbel und der erste Brustwirbel wird gestaucht was natürlich Schmerzen verursacht. Ebenso werden die Brustwirbel hinter dem Wiederrist in Mitleidenschaft gezogen. Durch die falsche Spannung der Gummibänder – äh der Muskulatur hat das Pferd zu allem Überfluss auch noch Schmerzen. 

Ich denke wir müssen uns nicht darüber unterhalten, dass dein Pferd so nicht geritten werden kann. 


Die Frage ist jetzt: Wie erkennst du, ob dein Pferd gefährdet ist oder sich schlimmstenfalls schon in dem Teufelskreis der Trageerschöpfung befindet?

Die einfachste Methode ist: Du lädst dir hier meine Checkliste runter und führst diese mit dem beigefügten Anleitungsvideo aus. 


Nochmal grob zusammengefasst:

schaue dir ganz genau dir Rückenlinie deines Pferdes an: 

  • Gibt es einen Axthieb?  Nicht gut!
  • Hast du sehr viel Schwung nach unten in der Sattellage (meistens ist das auch ein etwas unharmonisch wirkender Knick direkt hinter dem Widerrist) –> Nicht gut! 
  • Wölbt sich die Lende nach oben auf?  Nicht gut! 
  • Ist die Kruppe abgeschlagen und die Hinterhand untergeschoben?  Nicht gut! 
  • Ist die Vorhand Rückständig?  Nicht gut! (Beides zusammen… Gar nicht gut!)
  • CTÜ schmerzhaft?  Nicht gut
  • Rücken / Lende schmerzhaft?  Nicht gut

Google kann dir hier da auch Hilfe leisten. Such einfach mal in der Bildersuche nach Trageerschöpfung. Da findest du jede Menge Bildchen wie ein Pferd nicht aussehen sollte. 


Soo, nun haben wir also herausgefunden, wie es aussieht, wenn deine Gummibänder anfangen auszuleiern.

 Aber Schluss mit den Methapern. 


Denn wären es wirklich Gummibänder wärst du ziemlich ..äähhh … gelackmeiert. 


Es sind ja zum Glück lebende Strukturen, die sich bewusst bewegen und trainieren lassen und damit lassen sich auch Verspannungen lösen. 

Die Muskelschlinge kann auch wieder stärker werden,

wenn sie entsprechend therapiert wird

Du kennst vielleicht schon einige Tipps zum Training, wenn dein Pferd Anzeichen einer Trageerschöpfung hat. 

Hier werden häufig Equikinetik, Stangenarbeit, Balancepads, Trab- und Galopparbeit an der Longe, Bodenarbeit und Handarbeit empfohlen.

 

Ohne Witz, ich habe sogar neulich gehört, dass bei Trageerschöpfung bestimmte Globuli und Kräuterrezepturen Wunder wirken …. Ähm ja... Sorry nein, da musst du schon dein Pferd entsprechend schulen, trainieren und therapieren damit das weg geht.


Ich möchte hier aber NICHT auf diese üblichen Trainingsempfehlungen eingehen, sondern noch einen Schritt vorher starten.


Denn all diese Trainingsempfehlungen, die die entsprechende Muskulatur stärken sollen, sind für die Katz oder schlimmer, wenn das Pferd nicht vorher lernt, wie genau es diese Muskelgruppen nutzen muss um so zu laufen, dass es sich selbst keine Schaden zufügt. 


Ein Pferd fügt sich Schaden beim Laufen zu? Wie ist das gemeint?

Manche Pferde haben echt Pech mit der Genetik (oder Zuchtlinie). Selbst wenn man sie in der Steppe von Montana aussetzen würde und nie reiten oder anderweitig trainieren würde, würden sie früher oder später – in dem Fall wohle eher später eine Trageerschöpfung bekommen, weil ihr Körperbau einfach ein bisschen ungünstig ist.


Denn die Trageerschöpfung kommt nicht unbedingt wie das Wort suggeriert vom Tragen eines Reiters, sondern auch vom Tragen des eigenen Rumpfes, bzw. dem falschen Tragen desselben. Durch ungünstig wirkende physikalische Kräfte in einer ungünstigen Statik eines Pferdes. 


Ok, ob nun Pech mit der Genetik oder nicht – sind die Pferde in unserer Obhut, gibt es die ersten Anzeichen für Trageerschöpfung manchmal sogar schon früh in der Ausbildung, selbst wenn das Pferd dann noch nicht geritten ist. 


Häufig fängt das Elend an, wenn man beginnt, die Jungen Pferde zu longieren. Denn die Laufen auf dem Kreisbogen und auf Kurven und ein Platz hat nach aller spätestens 60m eine Kurve – Ist nun mal für unsere Pferde wirklich keine Selbstverständlichkeit. 


Hat man dann das Pferd nicht vorher in solchen unnatürlichen Bewegungsmustern geschult und ihm schrittweise gezeigt, wie genau es die Rumpfträger auf einem Kreis einsetzen muss, dann geht der Teufelskreis los. 


Und da hilft es auch nicht, ihm Balance Pads unter die Füße zu schieben, ihm auch noch Stangen in den Weg zu legen oder kleine Sprünge oder es die Berge hoch und runter zu jagen, ohne drüber nachzudenken, ob das für seinen individuellen Körper sinnvoll ist. 


So kann das Berg hoch oder Berg runter bei bestimmten Kompensationen des Pferdes absolut kontraindiziert sein und die Situation sogar noch verschlimmern. Und es hilft schon gar nicht, es möglichst gewitzt auszubinden (böööser Fehler!!).


Was man wirklich tun muss ist das Pferd VOR jeglichem Training und VOR jeglicher Reha-Maßnahme in eine ehrliche – kompetente Selbsthaltung zu bringen. Und damit meine ich nicht nur, dass es nicht umfällt, wenn man die Zügel lang lässt. 😊


Ob ein Pferd sich in Selbsthaltung bewegen kann ist davon abhängig, ob es mit erhobenem Brustkorb – also aktiv angespannten Rumpfträgern losgehen kann, anhalten kann, geradeaus gehen kann, oder eine Kurve bestreiten kann. Und zwar langsam und kontrolliert. Nicht einfach mit Tempo – in der Hoffnung nicht das Gleichgewicht zu verlieren. 


Solange dein Pferd nicht in der Lage ist, seine Rumpfträger so einzusetzen, musst du noch nicht an Training und Umsetzung von entsprechenden Trainingsempfehlungen denken

Das wird erst danach sinnvoll.

Ich sagte ja – ich fange noch einen Schritt vorher an 😊

Also ohne echte Selbsthaltung ist Training zur Stärkung der Rumpfträger nicht unbedingt zielführend. Denn bevor das Pferd die Stärke erklangt uns (und sich selbst) zu tragen, muss es erstmal üben dürfen wie die Tragetechnik ist. Und das fehlt leider bei jeglichen Trainingsempfehlungen. 


Die gute Nachricht ist, auch damit beschäftigen wir uns ganz, ganz genau im KRAFTT-Tragekurs. 

Wenn du unsicher bist, ob dein Pferd tragfähig ist oder Selbsthaltung hat, kannst ud dir hier einen Beratungstermin mit mir buchen. 

Konkrete Trainingstipps

Wenn du ein Pferd hast, welches bereits Anzeichen einer Trageerschöpfung zeigt, musst du unbedingt darauf achten, dass der Thorax in den Kurven nicht kippt. Das Pferd sollte sich biem Training in keiner Gangart (egal ob mit oder ohne Reiter) in die Kurve legen. Außerdem musst du darauf achten, dein Pferd nicht zu überbiegen.


Sobald der Thorax kippt, wirken die physikalischen Kräfte in deinem ohnehin schon angeschlagenen Pferd sehr negativ. So werden z.B. die Gliedmaßen, sobald der Thorax zur Seite rotiert, nicht mehr in den Tragfähigen Bereichen gehalten und werden einseitig und verschleißend belastet. Nichts was wir wollen. 


Es ist wichtig, dem Pferd beizubringen, was es selbst tun kann, also wie es sich bewegen kann, um diesen unangenehm wirkenden Kräften entgegenzuwirken. 

Denn von selbst kommt es nicht auf die Idee. 


In der Natur braucht es das nicht. Ohne Reiter, ohne ständige Kurven, ohne viel Trab, dafür mit viel Futtersuche und viel gemütlichem Schlendern mit tiefem Kopf und ab und ab mal ein rasanter Galopp das alles ohne Last auf dem Rücken. 


Dazu ist es gemacht. 


Und das kann seine natürliche Biomechanik leisten. Wollen wir es anders – dann müssen wir ihm zeigen, wie es sich anders bewegen muss, um den Anforderungen gerecht zu werden.

Zusammenfassung:

  1. Das Pferd hat kein Schlüsselbein
  2. Die Vorderbeine sind nur über Weichteilgewebe mit dem Rumpf verbunden
  3. Das Fehlen des Schlüsselbeins dient der Stoßdämpfung. Diese Funktion wird durch Verspannungen gestört
  4. Erste Anzeichen einer Trageerschöpfung kannst du mit meiner Checkliste leicht erkennen
  5. Bevor du ins Training startest, solltest du testen (lassen), ob dein Pferd Selbsthaltung hat
  6. Im Training achte darauf:  dein Pferd nicht zu überbiegen, einen gerade gehaltenen Brustkorb und gerades aufkommen der Beine

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